Ob bei einer Krebs-Operation wirklich der gesamte Tumor entfernt worden ist, lässt sich mit derzeitigen Verfahren erst nach einem Eingriff mit Sicherheit feststellen. Bis zu vier Wochen können vergehen, bis Patienten Sicherheit darüber haben, ob die Operation erfolgreich war oder nicht — Zeit, in der eventuell verbliebene Tumorzellen sich bereits wieder vermehren können. Das vom Wissenschaftler-Team des Leibniz-Instituts für Photonische Technologien (Leibniz-IPHT), der Friedrich-Schiller-Universität (FSU), des Universitätsklinikums sowie des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Optik und Feinmechanik erforschte Schnellverfahren hingegen könnte Gewissheit in 20 Minuten bringen.
Indem es drei unterschiedliche Bildgebungstechniken kombiniert, lassen sich anhand so genannter Schnellschnitte noch während der Operation räumlich hoch aufgelöste Bilder der Gewebestruktur erzeugen. Eine Software macht Muster und molekulare Details sichtbar, so dass das Operationsteam Tumorzellen identifizieren und auf dieser Basis entscheiden kann, wie viel Gewebe weggeschnitten werden muss. Damit verspricht die automatisierte Gewebe-Analyse ein verlässlicheres Ergebnis als die derzeit übliche Schnellschnitt-Analyse, die nur von erfahrenen Pathologen durchgeführt werden kann und immer noch nachträglich abgesichert werden muss.
„Wir können mit dem von uns entwickelten Verfahren wesentlich genauer arbeiten und erhalten die Informationen unmittelbar“, erläutert Professor Orlando Guntinas-Lichius, Direktor der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Universitätsklinikum Jena, der mit sechs weiteren Wissenschaftlern an dem Forschungsprojekt mit dem Titel „CDIS Jena — Cancer Diagnostik Imaging Solution Jena“ beteiligt ist. Perspektivisch könnte das Mikroskop sogar bei Operationen eingesetzt werden, bei denen derzeit noch gar keine Schnellschnitt-Diagnostik möglich ist, blickt Professor Jürgen Popp voraus, der als Direktor des Leibniz-IPHT sowie des Instituts für Physikalische Chemie der FSU Jena ebenfalls zu den Preisträgern gehört. „Es kann als Basis dienen für eine In-vivo-Diagnostik, so dass man künftig ohne klassische Biopsie auskommen könnte.“
Ebenfalls ausgezeichnet werden Professor Andreas Tünnermann, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Optik und Feinmechanik (IOF) sowie des Instituts für Angewandte Physik der FSU Jena, Professor Jens Limpert (IOF und Institut für Angewandte Physik der FSU), Dr. Thomas Gottschall (ebenfalls Institut für Angewandte Physik), Professor Michael Schmitt (Institut für Physikalische Chemie der FSU Jena), Dr. Thomas Bocklitz (Institut für Physikalische Chemie und Leibniz-IPHT) sowie Tobias Meyer (ebenfalls Leibniz-IPHT).
Zuverlässig und kostengünstig zur passgenauen Therapie
Indem das optische Diagnose-Verfahren der Jenaer Wissenschaftler zu vermeiden hilft, dass Patienten erneut operiert werden müssen, trägt es nicht nur dazu bei, deren Heilungschancen zu verbessern, sondern könnte darüber hinaus erhebliche Kosten im deutschen Gesundheitssystem einsparen. „Eine Minute im Operationssaal ist die teuerste Minute im gesamten Klinikbetrieb“, führt Orlando Guntinas-Lichius aus. Derzeit werden etwa bei Tumoren im Kopf-Hals-Bereich nach knapp jeder 10. Operation nachträglich Krebszellen aufgefunden.
Nachdem das Jenaer Forscherteam in Tests an knapp 20 Patientinnen und Patienten bereits nachweisen konnte, dass der Bildgebungsansatz zuverlässig funktioniert, überführte es die Ergebnisse in ein tragbares Mikroskop mit einem neuartigen kompakten Faserlaser. Dieser Prototyp soll nun an einer großen Patientengruppe in einer präklinischen Validierungsstudie zum Einsatz kommen. „Wir sind dabei, uns hierfür um die entsprechenden Fördermittel zu bemühen“, so Jürgen Popp. Sobald anhand der Studie der Mehrwert für die Patientinnen und Patienten dokumentiert ist, ist das Verfahren reif für den Markt. „In fünf Jahren könnte unser Mikroskop für die Schnellschnitt-Diagnostik in der Klinik stehen“, resümiert Jürgen Popp.
Dass es überhaupt möglich wurde, komplexe Lasersysteme außerhalb einer Laborumgebung einzusetzen und somit den Schritt in die Klinik zu gehen, verdankt sich dem intelligenten Einsatz von Faserlasern und faser-optischen Frequenzkonvertern, ergänzt Professor Andreas Tünnermann vom Fraunhofer-IOF. So konnten die Freiheitsgrade reduziert und das Gerät miniaturisiert werden. Dies bedeutet eine entscheidende Verbesserung im Bereich der multimodalen Bildgebung mit in seinen Wellenlängen abstimmbarem Beleuchtungslaser.
Vorarbeiten zu dem Forschungsprojekt „CDIS Jena — Cancer Diagnostik Imaging Solution Jena: Die Revolution in der intraoperativen Schnellschnittdiagnostik“ wurden gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft (TMWWDG).
Einer der Wegbereiter für CDIS Jena: das BMBF-Projekt MediCars
Zu diesen Vorarbeiten zählt auch das Projekt „CARS-Mikroskopietechniken für die Anwendung in der Medizin (MediCars)“, das das BMBF im Rahmen des Förderprogramms „Optische Technologien“ von 2009 bis 2013 unterstützte. MediCars ist ein kompaktes Mikroskop für die schnelle Gewebediagnostik, erforscht und entwickelt von Leibniz-IPHT, Uniklinikums Jena, TU Dresden, Universität Heidelberg, Universität Stuttgart, Universität Konstant und dem Institut für Angewandte Physik in Jena. Damit können Mediziner hochaufgelöste multimodale Bilder innerhalb von wenigen Minuten aufnehmen und die verschiedenen Gewebetypen differenzieren. Dies ist vor allem zur Unterscheidung von Krebs und harmlosen Gewebemodifikationen relevant.
Um die klinisch-relevanten Informationen parallel zu einer Operation zu erhalten, wurde das Mikroskop so realisiert, dass es sich für jeden Operationssaal eignet und dabei von eingewiesenem aber fachfremdem Personal bedient werden kann. Technologische Grundlage des MediCars Mikroskops ist das bildgebende Verfahren der Kohärenten Anti-Stokes Raman-Spektroskopie (CARS). Ergänzt wird das Verfahren durch zwei weitere Kontrastmechanismen der Zwei-Photonen-Fluoreszenzmikroskopie (TPF) sowie der zweiten harmonischen Erzeugung (SHG). Alle drei Kontrastmechanismen zusammen vermitteln dem Mediziner sowohl chemische, strukturelle als auch funktionale Informationen über das Gewebe.
Weitere Informationen
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Zur Pressemitteilung des Leibniz-IPHT zum Kaiser-Friedrich-Forschungspreis 2018